Im Wahljahr 2021 gaben die Parteien erneut die Möglichkeit, sie mittels von Wahlprüfsteinen zu bestimmten Themen und Programmen zu befragen. Nach den Erfahrungen der letzten Male, bei der möglicherweise dieses Angebot als zu ausufernd wahrgenommen wurde, bot sich in diesem Jahr ein formalisiertes Verfahren mit lediglich acht Fragen an. Die BAFM hat diese Gelegenheit genutzt, ihre verschiedenen Ideen, Überzeugungen und Interessen zur Förderung der Familienmediation in eine sinnvolle Struktur zu setzen. Die Wahlprüfsteine waren auch für die BAFM und damit auch für ihre Mitglieder eine Gelegenheit der eigenen Positionierung und der Ausformulierung wichtiger Ziele, Interessen und Bedürfnisse. Die Mitglieder der BAFM sind alle auf hohem Standard sorgfältig ausgebildete und zum großen Teil auch sehr erfahrene MediatorInnen, die mit (Familien)- Mediation ihr Geld verdienen, d.h. Mediation berufsförmig ausüben.
Lesen Sie im Folgenden die von uns den Parteien gestellten Fragen mit jeweils unseren Überlegungen dazu. Die Antworten der Parteien finden Sie unten in pdf-links. Die Antworten reichen von möglicherweise mit KI erzeugten Antworten, die leider gänzlich am Thema vorbeigehen (wir haben deshalb die Antwort der SPD hier nicht aufgeführt) über sehr kurze nicht wirklich begründete Statements bis zu ausführlichen und mit sehr viel Engagement formulierten individuellen Ausführungen. Insbesondere für letztere möchten wir uns hier herzlich bedanken.
… und natürlich hoffen wir, dass wir mit den BAFM-Wahlprüfsteinen die zukünftigen politischen Entscheidungsträger/innen auf ein für die Gesellschaft wichtiges Thema aufmerksam gemacht haben. Wir werden die Gelegenheit nutzen, sie nach den berühmten 100 Tagen noch einmal darauf anzusprechen und an ihre Einlassungen zu erinnern. Wir freuen uns auf diese Gespräche…. Und Gespräche sollten es sein. Wie auch in der Mediation möchten wir die beste Lösung gemeinsam finden.
Professionelle FamilienmediatorInnen haben seit vielen Jahren die Erfahrung gemacht, dass mit entsprechender mediatorischer Begleitung eine Vielzahl von neuen, auch rechtlich bindenden Absprachen im Fall von Trennung und Scheidung, aber auch in anderen Konfliktfällen in der Familie, getroffen werden konnten. Wenn auch als Paar getrennt, konnten Menschen Eltern bleiben, Eskalationen wurden vermieden. Nicht justiziable Konflikte konnten nachhaltig zusammen mit solchen geklärt werden, die mit entsprechenden Ansprüchen vor Gericht hätten entschieden werden können. Neben den neuen Verabredungen und Regelungen ist es oftmals gelungen, die Beziehung der Betroffenen im Sinne aller Beteiligten zu gestalten. Wut, Hass, Verzweiflung und deren negative Auswirkungen auf die betroffenen Kinder konnten verhindert werden. Vermögen und wirtschaftliche Grundlagen für die Familien konnten relativ kostengünstig erhalten bleiben. Als BAFM begrüßen wir deshalb sehr, wenn eine Gleichwertigkeit von ADR-Verfahren mit Gerichtsverfahren entsprechend der EU-Richtlinie angestrebt wird. Sowohl gleichberechtigter Zugang und damit auch Finanzierung bei denen, die sich es nicht aus eigener Kraft leisten können, als auch verlässliche Ausbildung von MediatorInnen, die das Vertrauen in die Gleichwertigkeit stärken können, erscheinen uns deshalb notwendig. Wenn die politischen EntscheidungsträgerInnen ihre Verpflichtung zur Umsetzung der Mediationsrichtlinie ernst nehmen und eine Gleichwertigkeit herstellen wollen, müssen sie aus Sicht der BAFM die ADR-Verfahren ähnlich fördern wie gerichtliche Verfahren.
Anmerken möchten wir dabei, dass es sich beim Miteinander der Menschen, die sich auf Augenhöhe dem sie belastenden Konflikt stellen, nicht um Bagatell-Angelegenheiten handelt, die vorzugswürdig nicht durch die Justiz, sondern zu deren Entlastung von anderen Stellen gelöst werden könnten. Mediation fördert nachhaltig den gesellschaftlichen und sozialen Frieden, weil die Konfliktlösung auch die Beziehungsebene mitdenkt und Interessen und Bedürfnis orientiert arbeitet.Hierin liegt die entscheidende Ressource der Mediation als Verfahren, das insofern in vielen Konstellationen wegen der Nachhaltigkeit der Konfliktlösung dem gerichtlich geführten deutlich überlegen ist. Die Wirkung erfolgreicher Mediation auf die Entlastung der Gericht zu reduzieren, wird ihrem Potenzial insbesondere bei komplexen oft auch Mehrparteienkonflikten in keiner Weise gerecht.
Wir haben deshalb folgende erste Frage an die Parteien (Grüne, SPD, FDP, Linke, CDU) zur Wahl 2021 gestellt:
1. Im Sinne der Mediations-RiLi 2008/52/EG und der Rechtspr. des BVerfG zur außergerichtlichen Streitbeilegung sollten Gerichts- und ADR-Verfahren als ebenbürtige Wege zu Recht und Konfliktlösung gelten. Was tun Sie, um diese Gleichwertigkeit bzgl. Zugang, Finanzierung und Ausbildung herzustellen?
Die BAFM setzt sich als Verband seit über 25 Jahren dafür ein, Familienmediation bekannter zu machen, über die Chancen von Familienmediation zu informieren, Qualitätsstandards zu definieren und durch die von ihr anerkannten Institute weiterzugeben und praktizierende FamilienmediatorInnen zu unterstützen.
Sie kann sich eine Fülle von Möglichkeiten vorstellen, wie auch Verwaltung und Politik die ihr zur Verfügung stehenden Mittel und Wege nutzen kann, um der Mediation den ihrer Bedeutung für den Umgang mit Konflikten entsprechenden notwendigen Wert in der Gesellschaft für den Umgang mit Konflikten beizumessen.
Folgende Frage haben wir gestellt:
2. Die vorgelegte Evaluierung (§ 8 MediationsG) zeigt, dass Mediation nicht wie wünschenswert genutzt wird und ihr Potenzial nicht voll entfaltet ist (vgl. S. 3). Wie kann dies erreicht werden, insb. mit dem Ziel, die hiesige Förderung der Familienmediation auf internationales Niveau zu heben?
Die verfassungsrechtlich verankerte Rechtswegsgarantie braucht eine Entsprechung für ADR-Verfahren. ADR-Verfahren bedürfen einer Finanzierung für Menschen mit geringerem Einkommen. Zu denken ist an eine der Beratungshilfe vergleichbare Kostenübernahme für eine Erstberatung, die auch in einer Verfahrensberatung bestehen kann, um zu klären, welche Form der Streitbeilegung die individuell passende ist. Gleichwertiger Zugang bedeutet darüber hinaus die Einführung einer Mediationskostenhilfe, die sowohl gerichtsfern als auch gerichtsverbunden gewährt wird. Ihr Fehlen bzw. die Möglichkeit von Verfahrenskostenhilfe veranlasst Menschen, sich in gerichtliche Auseinandersetzungen zu begeben, obwohl sie sich eine eigenverantwortliche Konfliktbearbeitung und -lösung vorstellen können. ADR-Verfahren in Familienkonflikten können außerdem, soweit Kinder betroffen sind, auch mit Hilfe der Jugendhilfe gefördert werden. Freie Wahl der MediatorI/innen auch in der Jugendhilfe sowie die Möglichkeit der Vollmediation in den Eltern- und Familienberatungsstellen, (d.h. die Möglichkeit, neben den Kindeswohlaspekten auch die finanziellen Fragen regeln zu können), sind dabei für den Erfolg unabdingbar.
Unsere 3. Frage lautete deshalb:
3. Gleichwertiger Zugang zu ADR (gerichtsfern und -nah) bedeutet auch deren Finanzierung, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen. Wie kann der Staat aus Ihrer Sicht dem rechtsstaatlichen Anspruch der Bürger:innen auf Zugang zu ADR im Sinne der erweiterten Rechtswegsgarantie gerecht werden?
Durch eine einvernehmliche Reglung wird insbesondere das Kindeswohl gefördert. Forschungen haben ergeben, dass es vor allem der fortdauernde Konflikt der Eltern ist, der die Kinder im Falle einer Trennung/Scheidung beeinträchtigt. Deshalb sollte alles darangesetzt werden, die Einvernehmlichkeit zu fördern. Ein Rechtsanspruch des Kindes auf diese Förderung würde helfen, quasi als Verstärkung und Kehrseite des Anspruchs der Eltern auf Beratung und Unterstützung (bei der Entwicklung eines einvernehmlichen Konzepts) gemäß § 17 SGB VIII. Mediation muss hier zur Klarstellung explizit im SGB VIII genannt sein. Dieser Rechtsanspruch richtet sich gegen den öffentlichen Träger der Jugendhilfe. Gleichzeitig ist es somit Aufgabe der Jugendhilfe, die Eltern zu einer Mediation zu ermutigen durch Informationsangebote, flächendeckender Bereitstellung von entsprechend geschulten Fachkräften, bzw. Übernahme der entstehenden Kosten und der Zulassung und Finanzierung des Angebotes freier qualifizierter FamilienmediatorInnen als TrägerInnen der Jugendhilfe.
Frage 4:
4. Insbesondere in Familienstreitigkeiten ist erwiesen, dass ein Einvernehmen der Eltern für das Kindeswohl essentiell ist und Folgekosten vermieden werden. Wie stehen Sie zu einem Rechtsanspruch des Kindes auf ein Verfahren der einvernehmlichen Konfliktlösung und wie soll dieser umgesetzt werden?
Vollmediationen als Mediation in einer Hand durch gut ausgebildete MediatorInnen fördern einen Erfolg, einvernehmliche Regelungen zu finden. Hilfreich ist dabei der interdisziplinäre Ansatz, den die BAFM von Beginn an verfolgt hat. Mediationen bei Trennung und Scheidung werden möglichst mit einem interdisziplinären Co-MediatorInnen-Team angeboten. Dieses Team spiegelt die entsprechende Gender-Besetzung der Konfliktparteien und besteht aus MediatorInnen mit rechtlichen und psychosozialen, bzw. pädagogischen Grundberufen. Die Erfahrung zeigt, dass kindzentrierte Themen, wie z.B. Ausübung der Sorge und des Umgangs, häufig mit finanziellen (z.B. Unterhalts) Fragen verknüpft sind und nur eine gemeinsame Bearbeitung zum Ziel führt. So gehörte zu den Befunden des BIGFAM-Projekts, dass sich die Mediation oft auf das gesamte Regelungsspektrum bei Trennung und Scheidung ausweitete, auch wenn zunächst reine Kindschaftssachen geregelt werden sollten. Die Jugendämter sind finanziell und personell so auszustatten, dass Mediationen im Rahmen der Jugendhilfe zügig genehmigt und durchgeführt werden können. Im Wege einer bundesgesetzlichen Klarstellung des SGB VIII sollte Mediation vom Leistungskatalog des Wunsch- und Wahlrechts (§ 5 SGB VIII) erfasst werden, so dass sich Familien unabhängig von ihrem Wohnort überall für eine Mediation als Unterstützungsmaßnahme entscheiden können. Entsprechend sollten die Jugendämter (bei fehlender eigener Leistungsfähigkeit) verbunden mit einer Kostenübernahme auf freie MediatorInnen verweisen dürfen. Durch gesetzliche Regelungen könnte garantiert werden, dass die Möglichkeit von Vollmediationen über die Jugendhilfe überall in Deutschland gegeben sind.
Frage 5
5. Das Kindeswohl fördernde Einvernehmen der Eltern erstreckt sich idR auch auf finanzielle Aspekte. Diese notwendige Vollmediation wird aber nur z.T. durch die Jugendhilfe auf unterschiedlicher Rechtsgrundlage und nicht flächendeckend finanziert. Wie kann hier Rechtssicherheit geschaffen werden?
Seit ihrer Gründung hat die BAFM insbesondere auf eine hochwertige Ausbildung geachtet (200 Stunden, interdisziplinärer und systemischer Ansatz, Präsenzseminare mit gruppendynamischen Erfahrungen, Selbstreflektion und Rollenspielen, Begleitung und Übergang in die Praxis). Aus Sicht der BAFM ist die Ausbildung nicht lediglich eine Weiterbildung, sondern vermittelt eine eigene Kompetenz zur Mediation. Sie speist sich nicht allein aus berufsbiografischer und mediatorischer Fachexpertise, sondern führt im Sinne einer Persönlichkeitsentwicklung zu einer besonderen Haltung, die geübt und praktiziert werden muss. Durch eine entsprechende Zertifizierung, die diesen Namen verdient, Supervisions- und Fortbildungsverpflichtungen kann das Vertrauen in die Qualifikation von MediatorInnen gestärkt werden.
Außerdem sollten Fachleute wie RechtsanwältInnen, RichterInnen, SozialarbeiterInnen und sonstige Fachkräfte Kenntnisse in Mediation und anderen ADR-Verfahren haben, um die Vorteile des jeweiligen Verfahrens zu kennen, darüber zu informieren und zur Wahrnehmung raten zu können.
Wir haben deshalb die Frage 6 zur Qualifikation gestellt:
6. Gleichwertigkeit von Justiz und ADR setzt voraus, dass in beiden Verfahren professionell qualifizierte Fachleute (Jurist:innen wie auch Mediator:innen) arbeiten. Wie kann dies sichergestellt und damit bei den Bürger:innen das notwendige Vertrauen in die Mediation als Verfahren geschaffen werden?
Grundsätzlich begrüßt die BAFM weitere Forschung, um die Mediation weiterzuentwickeln und eventuelle Nachteile gut einschätzen zu können. Insbesondere zur notwendigen Qualifikation der MediatorInnen hält die BAFM Forschung für sinnvoll und notwendig. Nutzen und Effektivität von Mediation zeigt sich den PraktikerInnen alltäglich. Sollte hier weiterer Forschungsbedarf gefordert werden, müsste aus Sicht der BAFM der Blick ebenso auf Nutzen und Effektivität von gerichtlichen Verfahren gerichtet werden, z.B. inwieweit eskalierte Konflikte die betroffenen Kinder nachhaltig schädigen und dies (auch) auf das gerichtliche Verfahren zurückzuführen ist.
Die Anregung zur Forschung von § 7 MediationsGesetz (2012) ist leider zumindest im Zusammenspiel von Bund und Ländern nicht aufgegriffen worden. Allein das Land Berlin hat im Alleingang das Forschungsprojekt Bigfam ( https://www.reinhard-greger.de/zur-person/forschungen/ ) finanziert.
Uns interessierte, ob die politischen Parteien Nachholbedarf sehen:
7. Empirische Befunde, zuletzt die von Prof. Greger i.A.d. BMJV erstellte Pilotstudie (2010 mwN), belegen, dass Mediation gegenüber gerichtlichen Verfahren Konflikte nachhaltiger und kostengünstiger löst. Welchen Forschungsbedarf sehen Sie noch, um konkrete Schritte der ADR-Förderung umzusetzen?
Glücklicherweise können die Menschen in Deutschland auf eine gut funktionierende Justiz vertrauen, die ihnen bei knappen Einkommensverhältnissen auch kostenfrei offen steht. Allerdings wird mit der Beschreitung des Rechtswegs die Lösung der Konflikte in fremde Hände gegeben. Es sind jedoch Mitwirkung und Eigenverantwortung, die zu nachhaltiger Konfliktbearbeitung und –beilegung führen, wie sie durch alternative Konfliktlösungsverfahren, wie z.B. die Mediation, erreicht werden. Möglichkeiten, sich außergerichtlich auf der Basis gegenseitigen Verständnisses zu einigen, sind aber bisher immer noch zu wenig bekannt und ihre Inanspruchnahme von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Streitbefangenen abhängig.
Die Voraussetzungen, um eine informierte und freie Entscheidung für oder gegen ein gerichtliches Vorgehen, für oder gegen einen alternativen Weg der Konfliktlösung treffen zu können, sind wesentlich durch gesetzliche Regelungen zu schaffen. Entscheidend ist das rechts- und sozialpolitische Bekenntnis zur Ebenbürtigkeit von ADR-Verfahren und könnte Ausdruck finden in
Das föderative Prinzip und die Befasstheit mehrerer Fachressorts stellen dabei eine Herausforderung für eine einheitlich normativ solide zu regelnde Förderung der Familienmediation dar. Es bedarf einer konsensualen Kooperation, die selbst auf mediative Weise sich zu gestalten anbietet, und deren Gelingen auch hier letztendlich vom politischen Willen bestimmt wird.
Gespannt auf die Ideen der Parteien waren wir mit unserer achten Frage:
8. Welche konkreten materiell- und verfahrensrechtl. Regelungen schlagen Sie vor, um weitere Anreize für die Inanspruchnahme von ADR-Verfahren zu schaffen und damit die Gleichwertigkeit von Justiz und ADR zu fördern. Wie kann sichergestellt werden, dass dies Länder und Ressort übergreifend gelingt?